[Buchrezension] Winterpferde - Philip Kerr

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Zusammenfassung:

Es ist ein eisiger Winter 1941 auf Askania-Nowa, wo sich das jüdische Mädchen Kalinka versteckt hält. Hier in dem alten Naturreservat leben auch die seltenen Przewalski-Pferde. Sie scheinen zu spüren, dass Kalinka eine von ihnen ist – denn wie Kalinka sind sie in großer Gefahr vor den Nazis, die Askania-Nowa besetzen.
Mit Hilfe des treuen Tierwärters Max flieht Kalinka mit zwei Pferden und einem Wolfshund Hunderte von Kilometern über die weiße Steppe der Ukraine. Doch können ein Mädchen und drei Tiere der Übermacht der Deutschen entkommen?

«Die Ukraine ist noch nicht tot.»
Gespannt, traurig, fröhlich, enttäuscht, aufgeregt, wütend, erleichtert. Ich glaube, bei diesem Buch war jedes Gefühl einmal dabei. Doch am meisten war es Hoffnung. Wie Max es hier so schön ausdrückt. Die Ukraine ist noch nicht tot. Und somit auch nicht die Hoffnung für mich, dass am Ende alles gut wird. Dieses Buch hat mich ein bisschen beschäftigt und ich habe mich dazu gezwungen, es langsam und deutlich zu lesen. Jedes Wort einzeln zu erkennen und seine Bedeutung zu erfassen. Es ist mein erster Historischer Roman und ich muss sagen: Ich bin begeistert.
Es gibt viel zu sagen und natürlich möchte ich euch meine Gedanken nicht vorenthalten.

«Im Existenzkampf sind manche Arten und eben auch manche Rassen einfach stärker als andere.»
Die Geschichte spielt im Jahr 1941, was dem gesamten Buch von vorn herein einen vollkommen anderen Eindruck verleiht. Wir sind in Geschichte gerade erst mit dem zweiten Weltkrieg durch und beschäftigen uns inzwischen mit den Folgen. Daher hatte ich einen noch engeren Bezug zum Buch, denn vor nicht allzu langer Zeit hatte ich noch so viel von den schrecklichen Taten gehört. Allerdings bekam ich immer alles aus deutscher Sicht. Was ist bei uns passiert? Warum ist das passiert? Doch hier bekommt man die Sicht der Ukraine. Es ist spannend zu lesen, was dort alles passiert ist. Es gibt mir noch einmal einen anderen Blick und berührt mich zutiefst.
Und dafür sorgen nicht nur die Umstände selbst. Es sind die Handlungen von Kalinka und Max, die mich teilweise an den Rand der Tränen gebracht haben. Sie haben mich aber auch zum Lachen gebracht. Sie haben mir gezeigt, dass Freunde wirklich alles sein können. Wir alle sollten jeden Moment dieses Lebens genießen. Auch wenn die Situation noch so auswegslos scheint. Denn genau dann können wir die treusten Menschen unseres Lebens finden. Genau so wie Max und Kalinka sich gefunden haben.
Der rote Faden dieses Buch war deutlich die Flucht vor den Deutschen, aber sie führte mich ins Ungewisse. Zu keiner Sekunde konnte ich sagen, worauf alles hinausläuft. Doch wie ein zweiter roter Faden führte mich auch die Hoffnung durch das Buch. Ich hoffte mit ganzem Herzen, dass Kalinka, Max, Temüdschin, Börte und auch Taras alles überleben würden.
Aber wir sind leider nicht in einer Zeit von Friede, Freude, Eierkuchen und ich musste erkennen, dass die Wahrheit nicht so berauschend ist, wie man es gern hätte. Selbst in einem Buch nicht.

«Weisheit findet man im Kopf, nicht in einem grauen Bart.»
Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber dieses Buch ist faszinierend. Um euch einen kleinen Einblick zu geben, möchte ich versuchen, meine Gefühle in Worten auszudrücken.
 Als erstes ist da natürlich die Bedrohung durch die Deutschen, die Kalinka und Max zwingt, auch verzweifelten Taten nachzugehen. So flüchtet Kalinka zum Beispiel fast fünfhundert Kilometer durch die Ukraine und Max isst Pferdefleisch.
Doch sie nehmen die Opfer auf sich, um sich selbst und das zu retten, was ihnen wichtig ist. Es ist fesselnd zu sehen, wie die Menschen im Zweiten Weltkrieg verzweifelt um das Überleben gekämpft haben. Ich möchte nicht sagen, dass es schön ist. Der Vergleich hinkt zwar, aber es ist wie ein Unfall. Man möchte wegschauen, aber man kann nicht. So habe ich mich teilweise mit dem Buch gefühlt. Irgendwo hockte in mir die Hoffnung, dass alles gut wird und ich wollte, dass das endlich eintritt. Seite um Seite verflog und ich konnte mich nur schwer zurückhalten, gleich alles an einem Abend zu lesen. Aber ich glaube, das war auch richtig so. So wirkte alles noch intensiver.
Zweitens: der Schreibstil. Aber dazu komme ich gleich noch.
Drittens: Die Charaktere. Max und Kalinka sind zwei sehr vielfältige Charaktere, die man einfach gern haben muss. Sie verleihen der Geschichte etwas, das man sie ebenfalls mögen muss. Und sie verleiten einen dazu, mehr über sie wissen zu wollen.

«Dieses große, dumme Pferd ist beinah auf mich getreten.»
Ich bin mit sehr großen Erwartungen an dieses Buch heran und ich kann euch schon einmal sagen, dass ich nicht enttäuscht wurde.
So war es zum Beispiel lustig zu sehen, wie Kalinka sich über Molnija beschwert, als "das große, dumme Pferd" beinah auf sie tritt. Wenn ich mir die Situation vorstelle, muss ich lachen. So kann nur jemand klingen, dessen Herz für eine andere Rasse schlägt. In ihrem Angesicht verblasst die gesamte Welt ringsherum.
Doch es ist erst der Schreibstil, der diese Welt von Kalinka so real macht. Klare Worte zeigen mir mehr als einmal, wie ernst die Situation ist.
Die Situationen selbst werden nicht allzu ausführlich beschrieben und erwecken dadurch ebenfalls ein Gefühl von Flucht. Man erkennt, dass Kalinka keine Zeit hat. Die Deutschen sind ihr auf der Spur. Da bleibt nicht viel Zeit, um die schönen Blumen am Straßenrand zu betrachten. Man muss sich auf die wichtigste Sache konzentrieren: Überleben.
Insgesamt ist alles in sich stimmig und man kommt sehr flüssig durch. Die einzigen Stockungen waren die Momente, als ich Tränen in den Augen hatte und nicht weiter lesen konnte. Ich habe schlichtweg die Buchstaben nicht mehr gesehen. Kalinkas Geschichte ist einfach ergreifend.

«Sie braucht jetzt einen Tierarzt, keinen Zoologen.»
Kalinka ist ein jüdisches Mädchen, das aus ihrer Heimat Dnipropetrowsk geflohen ist. Ihre gesamte Familie wurde von den Deutschen ermordet, weshalb sie sich nun allein durch die Welt schlagen muss. Nach einer langen Flucht gelangt sie endlich nach Askania-Nowa. Und damit zu einem neuen Lebensabschnitt. Während sie ganz am Anfang noch sehr verschlossen wirkt, taut sie in Max' Gegenwart sehr schnell auf. Sie kehrt ein bisschen zu ihrer alten Persönlichkeit zurück und wird teilweise sogar frech, aber das tut der Geschichte mehr als gut. Als Charakter hat sie mehr sehr gut gefallen. Besonders während der Moment, die sie mit Max verbracht hat, war sie ein absoluter Sonnenschein. Sie hat Schweres durchlebt und doch steht sie bei Max vor der Tür. Sie lässt sich nicht unterkriegen. Hinzu kommt ihre absolute Treue gegenüber den Personen und Tieren, die ihr wichtig sind. Besonders ihre Liebe zu Temüdschin und Börte ist erstaunlich.
Am Anfang konnte ich Max nicht leiden, aber irgendwie ist er mir dann doch sehr schnell ans Herz gewachsen. Er hatte auch kein leichtes Leben, aber er liebt Askania-Nowa genauso wie die Pferde. Schließlich hat er fast sein ganzes Leben dort verbracht. Als er Kalinka begegnet, ändert sein Leben sich, denn er hat einen Grund gefunden, für den es sich lohnt zu leben und für den er auch sterben würde. Recht schnell beginnt er, Kalinka zu mögen und liebt sie schließlich wie seine eigene Tochter. Und diese Gefühle spürt man. Max ist wunderbar sanft, aber auch mutig und treu. Er denkt nach, bevor er etwas macht und bremst somit auch manchmal Kalinkas Temperament, denn er ist ihr genauso wichtig. Und sie möchte ihn nicht verletzen.
Die beiden sind genau die Situation, von der ich vorhin sprach. Beide haben schreckliche Dinge erlebt und stecken selbst jetzt noch in einer schrecklichen Situation, doch genau jetzt haben sie eine Person gefunden, der sie vertrauen können und daraus entsteht eine Freundschaft, die in den kalten, grausamen Tagen des Winters von 1941 sehr wichtig ist. Sie bleibt bis zum Schluss bestehen.
Und dann sind da auch noch Temüdschin, Börte und Taras. Temüdschin und Börte sind zwei Przewalski-Pferde, vielleicht die Letzten ihrer Art. Sie unheimlich kluge Tiere und erhalten somit den Charakter eines Menschen. Sie sind Kalinkas Freunde, die ihr Halt geben auf ihrer Flucht und sie immer wieder ermutigen, weiter zu machen. Kalinka sind die beiden Pferde besonders wichtig. Sie haben sie beschützt, mit ihnen hat sie etwas erreicht, wegen ihnen hat sie Max kennen gelernt, ... Die Liste ließe sich unendlich weiterführen. Das wären alles Gründe für die enge Verbindung zwischen dem Mädchen und den Pferden.
Taras darf natürlich auch nicht vergessen werden. Er ist ein Wolfshund und war bis zum Schluss Kalinkas treuer Begleiter. In ihm lebt Max ein bisschen weiter und begleitet Kalinka auf ihrer Flucht. Ich denke, dass er sie immer ein bisschen an Max erinnert und sie somit weiß, dass sie nicht aufgeben darf. Schon allein wegen Max, der so viel geopfert hat, um ihr zu helfen.
Zum Schluss möchte ich noch Hauptmann Stammer erwähnen. Er hatte ein sehr kurze, aber auch sehr wichtige Rolle. Max schrieb einmal in einem Brief: "Ich verspreche dir, dass es andere gute Deutsche wie ihn gibt." Hauptmann Stammer war in dem Moment genau so ein Deutscher, von dem Max gesprochen hatte. Er gab unbewusst Kalinka die Hoffnung zurück, dass doch nicht alles so schlimm war, wie sie dachte. Es gab auch gute Menschen. Aber Hauptmann Stammer zeigte Kalinka sehr deutlich, dass die Welt nicht Schwarz-Weiß ist. Und ich glaube, das sollten auch wir uns zu Herzen nehmen.

Ich habe dir wohl schon gesagt, dass ich selbst nie Kinder hatte, doch wenn ich welche gehabt hätte, dann hätte ich mir eine Tochter wie dich gewünscht.
Wie ich bereits erwähnte, ging ich mir hohen Anforderungen an dieses Buch. Als ich es endlich in meinen Händen hielt, blätterte ich erst mal ein bisschen durch und entdeckte ganz hinten dann einen Youtube-Link, den ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte. Hier findet ihr eine ganz besondere Überraschung, die mich ein bisschen auf das Buch einstimmte, aber dadurch erwartete ich auch etwas, was dazu sehr gut passte. Und tatsächlich tat es das.
Hinzu kommt das grandiose Vorwort. Ich las es und dachte mir: Wenn das Buch im Gesamten so geschrieben ist, na dann "Hallelujah!" Philip Kerr ist absolut ehrlich mit dem Leser und das hat mich bereits von der ersten Sekunde an überzeugt. Es war mir egal, was da drin stand. Ich freute mich auf eine schöne Geschichte.
Als nächstes möchte ich noch erwähnen, dass mir besonders die Einstellung der Personen aufgefallen ist. Besonders Hauptmann Grenzmann war definitiv Deutscher. Das erkannte man an seinen Worten und ich glaube, das wirkte in diesem Moment alles noch realer. Es erinnerte mich an die Zeiten und an das angebliche Richtig und Falsch am Menschen.
Und zum Schluss noch etwas zum Cover: Es passt perfekt. Das Mädchen ist ganz offensichtlich Kalinka. Die Pferde sind Temüdschin und Börte, der Hund ist Taras. Es ist Winter, sie befinden sich auf der Flucht, daher die gehende Bewegung. Passt alles oder? Die einzige Sache, die ich bemerken möchte, ist: Max fehlt mir ein bisschen. Vielleicht hätte man im Hintergrund einen dunkleren Schemen machen können. Gleichzeitig hätte er auch für die Deutschen stehen können. Das ist aber wirklich das Einzige, was ich überhaupt irgendwo bemängeln könnte.

Für mich war "Winterpferde" recht schwer zu bewerten, aber ich denke, ich konnte meine Gedanken gut in Worte fassen. Insgesamt lässt sich noch einmal sagen, dass dieses Buch mich sehr positiv überrascht hat und ich wahrscheinlich des Öfteren in die Abteilung "Historische Romane" greifen werde, wenn ich dafür so ein Buch bekomme. Es ist von Anfang an sehr berührend und zeigt uns allen, wie schnell ein Leben vorbei sein kann. Was mir jetzt gerade auffällt, ist auch der Bezug zu den Flüchtlingen. Sie erleben gerade teilweise dasselbe. Kalinkas Geschichte führt deutlich vor Augen, wie schwer so eine Flucht doch sein kann und ich denke, dass wir alle ein bisschen respektvoller mit den Flüchtlingen umgehen sollten. Sie haben ihre Heimat nicht umsonst verlassen. Genauso wenig wie Kalinka es getan hat. Daher sollten wir ihnen einen Max sein und sie unterstützen.

Gesamtbewertung:

 Als letztes möchte ich ganz herzlich bei dem Verlag Rowohlt für dieses wunderbare Rezensionsexemplar bedanken. =) Das Buch ist wirklich klasse!

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